EuGH setzt Politik unter Zugzwang
EuGH setzt Politik unter Zugzwang

EuGH setzt Politik unter Zugzwang

Nachdem über die vergangenen fast zwei Jahre diverse Einlassungen bzgl. einer vermeintlichen Herrschaft des Unrechts bzw. eines Rechtsbruchs der Bundesregierung zu vernehmen waren, hat der Europäische Gerichtshof heute sein langerwartetes Urteil gefällt: das Dublin-Verfahren, welches den Regelprozeß für EU-Mitgliedsstaaten für die Bearbeitung von Asylanträgen definiert, ist gültig. Auch in Zeiten einer zahlenmäßig größeren, außer der Norm, Zuwanderung in die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Gut so. Damit gibt es endlich die gewünschte und vor allem notwendige Rechtssicherheit. Tatsächlich wäre es faktisch eine Bankrotterklärung gewesen, hätte der EuGH das Dublin-Verfahren für „in Ausnahmesituationen potentiell unwirksam“ befunden. Das hätte einer Willkür Tür und Tor geöffnet und würde damit einer jeden rechtsstaatlichen Gemeinschaft widersprechen.

Überdies ist das Überschreiten einer Grenze ohne Einhaltung der Voraussetzungen der im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Regelung zwangsläufig als „illegal“ im Sinne der Dublin-III-Verordnung einzustufen. – Pressemitteilung des EuGH

Damit hätten also all jene Recht bekommen, welche das Handeln der Bundesregierung in die Nähe der o.g. rechtlichen Untiefen geredet haben. Ganz so einfach ist es aber nicht. Zudem gilt es ebenfalls einen Blick auf eine andere Mitteillung des EuGH zu werfen, welche im Gesamtzusammenhang durchaus als eine Aufforderung an die europäischen Politiker zu verstehen ist.

Die Politik in der Bringschuld

Neben der Einlassung bzgl. der Gültigkeit des Dublin-Verfahrens hat der EuGH ebenso klar kommuniziert, daß eben dieses Verfahren durchaus von einem oder mehreren Mitgliedsstaaten gemäß der sog. Eintrittsklausel außer Kraft gesetzt werden kann.

Zu der den Mitgliedstaaten nach dem Schengener Grenzkodex zustehenden Befugnis, Drittstaatsangehörigen, die die Einreisevoraussetzungen nicht erfüllen, die Einreise in ihr Hoheitsgebiet aus humanitären Gründen zu gestatten, stellt der Gerichtshof fest, dass eine solche Gestattung nur für das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gilt und
nicht für das Hoheitsgebiet der übrigen Mitgliedstaaten. – Pressemitteilung des EuGH

Insgesamt hat hiermit der EuGH festgestellt, daß die Einhaltung des Dublin-Verfahren zwar grundsätzlich immer gilt, es aber gleichermaßen juristisch berechtigte Gründe für Exekutiventscheidungen der jeweiligen nationalen Regierung gibt, welche sich eben über dieses Verfahren hinwegsetzen kann. Wie in diesem Fall im September 2015 an verschiedenen Binnengrenzen des Schengenraumes geschehen. Deutschland und Österreich waren und sind neben vielen anderen Staaten Mitglieder im Schengenraum. An den Binnengrenzen dieser Staaten erfolgen also keine Grenzkontrollen mehr. Was also im September 2015 geschehen ist, ist in Einklang mit geltendem europäischen Recht geschehen: die Grenzen waren offen und wurden nicht geschlossen. In diesem Fall haben die Exekutive Deutschlands sowie Österreich entschieden aus humanitären Gründen die Grenze zwischen beiden Staaten sowie die österreichisch-ungarische Grenzen nicht zu schließen. Eine Grenzöffnung, noch dazu eine illegale, hat es nicht gegeben.

Ich gehe davon aus, daß sich nach dem ersten Schock für einige besorgte und eher undifferenziert denkende bzw. kommunizierende Beteiligte die Vernunft durchsetzt und das Faktische langsam Einzug hält. Tatsächlich hat der EuGH doch heute das vollzogen, was von vielen bis allen Seiten gefordert worden war. Nun sollte man damit auch vernünftig politisch sowie juristisch arbeiten können. Zu schnell denken sollte man aber auch nicht.

Vor allem hätte ein solches Urteil bedeutet, dass dieses von einigen EU-Mitgliedern verfolgte unsolidarische Vorgehen des einfachen Durchreichens von Asylsuchenden an andere Mitgliedstaaten im Nachhinein belohnt worden wäre. – Stephan Mayer (CSU)

Unsolidarisch ist also das einfache Durchreichen von Asylsuchenden? Einfach durchgereicht wurde da wohl niemand. Aufgrund der großen Menschenmassen wirkte es eher so, als ob man schlichtweg vor der Wahl stand: Grenzen dicht und Zusammenbruch aller Balkanstaaten oder ad hoc Weiterleitung um eben den Zusammenbruch zu verhindern.

Unsolidarisch ist doch aber vielmehr die Haltung nahezu aller EU-Staaten gegenüber ihren Partnerstaaten der EU-Außengrenze. Griechenland und Italien müssen seit beinahe zwei Jahren eine immense Last schultern und werden quasi von allen anderen Mitgliedsstaaten mit ein paar warmen Worten und lässigen Tipps abgespeist, was sie tun und was sie lassen sollten. Das ist einer echten Europäischen Union eher unwürdig. Das sinngemäße Zitat von Herrn Mayer unterstreicht noch mal sehr deutlich diese durchweg zynische Haltung exemplarisch.

Hier greift also dieser Zugzwang. Das Dublin-Verfahren soll Anwendung finden und die gemeinsame Grundlage für die Prozesse rund um die Bewerbung um Asyl in der Europäischen Union bilden. Das bedeutet dann aber auch, daß man gerade die Länder an der EU-Außengrenze finanziell, logistisch und organisatorisch unterstützen muss. So ein bisschen Solidargemeinschaft sollte ja schon noch in der EU stecken, oder?

Verpflichtung zur Solidarität

Und das sogar von Europas höchster juristischer Instanz. In einer weiteren Entscheidung hat Generalanwalt Bot heute festgestellt, daß die Klagen der Slowakei und Ungarns gegen den vorläufigen obligatorischen Mechanismus zur Umsiedlung von Asylbewerbern abzuweisen seien. Damit ist steht einer echten, solidarischen Verteilung von Flüchtlingen über die Länder der Europäischen Union nicht mehr sonderlich viel im Weg. Auch hier gilt es für die Politik zeitnah entsprechenden Vorgehensweisen zu entwickeln und verbindlich auszurollen. Hiermit dürfte dann auch etwas Druck von Griechenland und Italien genommen werden. Zudem ist diese Verpflichtung zur Solidarät geradezu eine Steilvorlage, um auch das Dublin-Verfahren für die hauptverantwortlichen Staaten einfacher und transparenter zu gestalten und damit schlußendlich ein wenig eben jenem humanistischen Anspruch gerecht zu werden, welchen man gern immer wieder mal in den Raum wirft. Mit substanzlosem Geblubber in welcher Sprache oder Akzent auch immer kommt man nicht weiter.

Anschließend kann und muß man sich mit Konzepten und Prozessen beschäftigen, welche mittel- und langfristig helfen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Und zu eben jenen Fluchtursachen zählen nicht nur bewaffnete Konflikte bzw. Bürgerkriege. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und bedürfen einer fundierten Analyse und Aufarbeiten. Auch hier sollte es eine offene, ehrliche und selbstkritische Bestandsaufnahme geben. Abseits all jener dahergesagten inhaltslosen Phrasen. Es ist Zeit zu liefern.