Diskurs unerwünscht
Diskurs unerwünscht

Diskurs unerwünscht

Meinungen sind großartig. Jeder kann mindestens eine zu einem Thema haben, ohne, dass er oder sie sonderlich vertraut mit diesem ist. Man kann seine Meinungen sogar beliebig wechseln. Meinungen müssen nicht zwingend begründet werden und müssen auch gar nicht irgendeinem mutmaßlichem Mainstream entsprechen. Sie müssen nicht populär sein. Man kann sie einfach so heraushauen. Und in der heutigen Zeit gibt es unzählige und mitunter sehr reichweitenstarke Möglichkeiten.

Das ist wunderbar und viel freier kann es schon beinahe nicht mehr werden. Mit der Meinung ist es aber nun so, dass jeder Mensch das Recht auf seine eigene hat und diese auch entsprechend kommunizieren darf. In früheren Zeiten führten konträre Meinungen unweigerlich zu einem Diskurs. An dessen Ende konnten dann unterschiedliche Ergebnisse stehen: Die besseren Argumente hatten obsiegt, es entstand ein besseres gegenseitiges Verständnis oder gar ein gemeinsames Verständnis aufgrund unterschiedlicher Perspektiven oder man kam zu dem Schluss, sich nicht einigen zu können. Wie auch immer Verlauf und Ergebnis aussahen: Die Meinungsäußerung war der Beginn eines Diskurses.

Das Grundgesetz

Spoiler: das Grundgesetz hat rein gar nichts mit der Meinungsfreiheit zu tun, welche immer wieder gern zumindest in Gefahr ist, wenn sie nicht gleich schon abgeschafft ist. Das Grundgesetz kommt hier also nur aus zwei Gründen vor: aus Gründen der Vollständigkeit und aus Gründen der Erklärung.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 5, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Grundgesetze bzw. Verfassungen haben lediglich die Aufgabe, einem völkerrechtlichen Objekt namens Staat eine grundlegende, rechtliche Struktur zu geben und eine entsprechende Verwaltung zu legitimieren. Hinzu kommen dann in Deutschland und vielen anderen, demokratischen Ländern an unterschiedlichen Stellen die sogenannten Grundrechte. Im deutschen Grundgesetz sind dieses die Artikel 1-19. Die Aufgabe dieser Grundrechte besteht lediglich darin, das Verhältnis der Menschen im Gültigkeitsbereich des Grundgesetzes und dem Staat als rechtlichem Gebilde zu regeln. Daher werden diese Grundrechte als Abwehrrechte dieser Menschen auf der einen Seite gegen Maßnahmen des Staates auf der anderen Seite bezeichnet. Soll heißen bezogen auf Artikel 5 und die Meinungsfreiheit: Dem Staat steht es nicht zu, öffentliche Meinungsäußerungen bei Missfallen zu zensieren, zu unterdrücken.

Es gibt allerdings einen gravierenden Unterschied und einen mitunter schmalen Grat zwischen einer Meinung und einer Lüge. Wenn ich sage, dass die Düsseldorfer EG der geilste Verein und Eishockey die geilste Sportart der Welt ist, ist das eine Meinung. Diese kann ich begründen oder auch einfach so im Raum stehen lassen. Wenn ich aber sage, dass alle Ausländer hochkriminell sind, sie kleine Kinder essen und deren Treiben von Politik und Medien sogar aktiv gedeckt werden, ist das keine Meinung mehr, sondern eine freche Lüge mit starker Tendenz zu einer Straftat (siehe Absatz 2, Artikel 5 GG). Eigentlich ganz einfach.

Die eigentliche Realität

Facebook, Twitter, Google und Co. sind nun privatwirtschaftliche Unternehmen und noch dazu aus den USA. Diese sind an Umsatz und Gewinn interessiert und für sie gilt dieses Grundgesetz mit all seinen Artikeln schlichtweg nicht. Sicher, sie können sich daran orientieren oder gar fundamentale Grundrechte aktiv bewerben. Müssen sie aber nicht. Tatsächlich ist es so, dass Kommentare und Tweets gelöscht werden, wenn entsprechende Meldungen von anderen Menschen eingehen und dann entweder ein Algorithmus oder Moderator:innen entscheiden. Das ist eine Entscheidung im Rahmen des virtuellen Hausrechtes (AGB bzw. Gemeinschaftsstandards) und hat nichts mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit oder gar Zensur zu tun. Letztere kann sowieso nur und ausschließlich von staatlichen Stellen ausgehen.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang allerdings das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Hierzu hatte ich vor rund drei Jahren schon etwas geschrieben. Alles Weitere hierzu würde den Rahmen sprengen.

Die Wirklichkeits- und Wohlfühloase

Meinungsäußerungen gehören immer noch zum gesellschaftlichen Miteinander, heute allerdings stellen sie vielmehr das Alpha und das Omega dar. Gerade in den Sozialen Medien haben wir alle geradezu paradiesische Möglichkeiten, unsere persönliche Wirklichkeits- und Wohlfühloasen zu schaffen, zu hegen und zu pflegen und gegen böse Andersmeinende von außen mit unzähligen Blocks tapfer zu verteidigen. Zwinkersmiley.

In den Sozialen Medien ist man nun je nach Situation idealerweise entweder Sender:in oder – in Personalunion – Ankläger:in, Richter:in und Henker:in. Oftmals allerdings werden gerade Sender:innen für ihre auf 140-280 Zeichen verfassten Gedankenschnipsel in Deutungshaft genommen. Missverständnisse sind grundsätzlich ausgenommen („Steht da doch alles!“) und auch sonst: einmal geschrieben, ist oft genug geschrieben. Eventuell gibt es noch kurz einen Empörungssturm, bevor dann der unweigerliche Block und oftmals auch Gegenblock folgen. Man möchte ja seine Base oder Community frei von so was halten, ergänzend herbeigehauchte Zustimmung ist gern gelesen. Ebenso natürlich einfach nur hinterlassene Likes. Alles aber, was die Bubble stört: raus. Das können diese Menschen natürlich so machen. Irgendwelche Einlassungen, dass sie die Meinungsfreiheit hochhalten, wirken dann nur reichlich erbärmlich.

Der Diskurs liegt auf Intensiv

Die wunderbare Katharina Nocun hat vor wenigen Tagen einige Tweets zum Thema abgesetzt „Was Rechtsextreme sagen und was sie eigentlich meinen.“ Passend hierzu verlinkt habe ich hier ihren Tweet zum Thema Meinungsfreiheit. Inhaltlich stimme ich ihr zu, würde aber gern „Rechtsextreme“ durch „Verlierer“ ersetzen. Auch wenn es aktuell (und nicht nur aktuell) besonders aus der rechtsextremen Ecke sehr laut klingt, findet sich auch an anderen Orten des politischen bzw. gesellschaftlichen Spektrums ein ähnliches Verhalten.

Ich finde mittlerweile keine Worte mehr für dieses erbärmliche, widerliche und elendige Rumgeopfere, dass man ja nichts mehr sagen dürfe. Doch darf man. Die Kirsche auf der vor Dummheit strotzenden Vollidiotentorte ist dann noch der Zusatz, dass es mittlerweile gefährlich für Leib und Leben wäre dieses zu tun. Ja, in Russland (Teetrinkersmiley), Syrien oder Nordkorea vielleicht.

Was solche Leute nicht aushalten können oder wollen, ist der Widerspruch, der unweigerlich nach einer öffentlichen Meinungsäußerung kommt. Spätestens dann nämlich wird es etwas anstrengender, weil eben für Außenstehende nachvollziehbare Belege beigebracht werden müssen. Ansonsten wäre es doch nur eine unfundierte Meinung, die weiterhin geäußert werden darf. Eine fundierte Meinung ist nur einfach besser.

Ich bin davon überzeugt, dass nur der stete Diskurs dazu führt, dass Meinungen besser werden, da sie nur durch einen Diskurs verprobt und hinterfragt, korrigiert, erweitert oder auch bestätigt werden können. Wer nur in seiner persönlichen Wirklichkeits- und Wohlfühloase verharrt, erstarrt gedanklich unweigerlich. Ein wenig Offenheit gegenüber anderen Meinungen schadet nicht und es bedeutet auch nicht, dass man diese annehmen muss. It is the mark of an educated mind to be able to entertain a thought without accepting it.

Meine Meinung. Zwinkersmiley.

Artikelbild von DariuszSankowski | Pixabay