Das sind immer die Anderen
Das sind immer die Anderen

Das sind immer die Anderen

Spätestens seit der letzten Präsidentschaftswahl in den USA sind sie in aller Munde: Fake News, alternative Fakten. Letztere sind spätestens seit den Einlassungen des Pressesprechers des Weißen Hauses Sean Spicer und der folgenden Erklärung der Präsidentenberaterin Kellyanne Conway hierzu in aller Munde. Fake News zu definieren ist nicht so ganz trivial, alternative Fakten hingegen schon. Hierbei handelt es sich um glatte Lügen.

Was sind eigentlich Fake News?

So ganz genau hat man das noch nicht definieren können oder wollen. Der Begriff ist zwar gefühlt in aller Munde und es wird auch trefflich darüber diskutiert und gestritten, aber eine allgemeingültige oder zumindest ausgewogene Definition sucht man vergebens. Ich weiß, jeder einzelne Leser dieses Beitrages kann sofort zwei Fake News Seiten nennen. Problemlos. Die Begründung – so es eine nachvollziehbare gibt – dahinter ist der Maßstab. Einfach so zu blubbern, dass bspw. die Tagesschau oder CNN Lügenpresse/Fake News wären, weil „ist so“, ist erst mal keine nachvollziehbare Begründung. Wirklich, ist es nicht. Auch nicht mit zig Ausrufezeichen, durchweg Großbuchstaben oder verbunden mit Gewaltandrohungen.

Der Spiegel hat sich zumindest an einer Erklärung versucht. Ob sie nun eher mehr oder weniger zutrifft, mag jeder für sich selbst entscheiden:

Wir sollten von Fake News reden, wenn Falschinformationen absichtlich gestreut werden – und dabei so komponiert werden, dass sie Funktionslogiken sozialer Netzwerke ausnutzen: Weil sie sich viral verbreiten sollen, setzen sie auf Reflexe wie Empörung und gefühlte Wahrheit und auf Reizthemen wie Migranten und Flüchtlinge, Kinder und Missbrauch, Krieg und Frieden.

Fake News können dabei aus politischem Interesse als Propaganda eingesetzt werden oder aus geschäftlichem Interesse als Honigtopf – mit Beiträgen, die sich rasant im Netz verbreiten, lassen sich Werbeeinnahmen erzielen und leichtgläubige Konsumenten anlocken.

Deutschland fürchtet die Lügenschleudern, Spiegel Online, 16.12.2016

Ganz so einfach scheint es also nicht zu sein. Wichtig ist hervorzuheben, dass eine ungenaue oder gar an den Haaren herbeigezogene Meldung nicht prinzipiell eine Fake News darstellt. Es ist vielmehr die Intention dahinter, die aus einer falschen oder ungenauen oder hauchdünnen Meldung eine Fake News macht. Aha. Und wer bestimmt, welche Intention dahintersteckt und wie werden die Bewertungskriterien hierfür klar und transparent festgelegt? Und: wären dann Reichweitenerzielung und Klicks nicht auch eine Intention?

Darüber nachdenkend geht es über den großen Teich in die USA. Dort wird der amtierende Präsident Donald Trump nicht müde diverse Medien entweder als Fake News oder „very big fake news“ zu bezeichnen. Trump verwendet den Begriff schon fast inflationär. Daher würde ich ihm unterstellen, dass er eine sehr konkrete Vorstellung davon hat, was sich denn hinter diesem Begriff verbirgt. In seiner Pressekonferenz vom 16.02.2017 wurde er auf die Lecks angesprochen und gefragt, ob diese Fake News wären. Oder doch echte Lecks:

QUESTION: I just want to get you to clarify this very important point. Can you say definitively that nobody on your campaign had any contacts with the Russians during the campaign? And on the leaks, is it fake news or are these real leaks?

TRUMP: Well the leaks are real. You’re the one that wrote about them and reported them, I mean the leaks are real. You know what they said, you saw it and the leaks are absolutely real. The news is fake because so much of the news is fake. So one thing that I felt it was very important to do — and I hope we can correct it. Because there’s nobody I have more respect for — well, maybe a little bit but the reporters, good reporters.

Alles klar?

Später in der gleichen Pressekonferenz gab es einen weiteren Schlagabtausch zwischen Donald Trump und einem anderen Reporter. Hierbei ging es um den laut Trump größten Erfolg bzgl. der gewonnenen Wahlleute seit Ronald Reagan. Der erste Teil ist die Stellungnahme von Donald Trump hierzu, der zweite Teil die Nachfrage und folgende Diskussion von und mit einem Reporter.

270 which you need, that was laughable. We got 306 because people came out and voted like they’ve never seen before so that’s the way it goes. I guess it was the biggest Electoral College win since Ronald Reagan. In other words, the media’s trying to attack our administration because they know we are following through on pledges that we made and they’re not happy about it for whatever reason.

QUESTION: (OFF-MIKE) said today that you have big intellectual margins (inaudible) 300 or more (ph), or 350 (ph) electoral (ph) votes. President Obama about 365 (OFF-MIKE).

(CROSSTALK)

TRUMP: Yeah.

QUESTION: Obama (OFF-MIKE) 426 on (OFF-MIKE). So why should Americans…

(CROSSTALK)

TRUMP: …I’m skipping that information, I don’t know, I was just given (ph) we had a very, very big margin.

QUESTION: (OFF-MIKE) why should Americans trust you (OFF-MIKE) the information (OFF-MIKE)?

TRUMP: Well, I don’t know, I was given that information. I was given — I actually, I’ve seen that information around. But it was a very substantial victory, do you agree with that? OK, thank you, that’s…

Ähm. Bei allem Respekt: WTF? Erst wird eine Aussage in den Raum gestellt, dann wird diese verprobt bzw. infrage gestellt und anhand von nachvollziehbaren Fakten widerlegt.

Fake News, das sind immer die anderen

Es geht stellenweise gar nicht mehr darum, dass echte Argumente ausgetauscht werden. Es geht auch nicht mehr um Fakten (die gibt es tatsächlich immer noch). Es geht auch nicht mehr darum, den Gegenüber zumindest zu verstehen und zu respektieren, dass es auch noch eine andere Meinung oder Sichtweise als die eigene gibt. Dabei ist das doch außerhalb der Naturwissenschaften schlichtweg unausweichlich: während in der Mathematik 2 + 2 immer 4 ergibt, stellen sich mal mehr mal weniger komplexe Zusammenhänge aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet immer auch unterschiedlich dar – das spielt allerdings gar keine Rolle mehr. Das eigentliche Dilemma unserer Zeit ist, dass es nur noch wichtig ist, wer etwas sagt oder schreibt. Für die einen sind Welt, Spiegel und ZDF heute die größten Fake-News Produzenten unter der Sonne während PI-News und Kopp-Verlag der Quell aller Wahrheit sind. Blödsinn!

Ungenaue Nachrichten und Meldungen hat es schon immer gegeben. Zudem ist es in Politik auch Usus, dass man nicht durchweg präzise und klar formuliert und kommuniziert (um es mal nett zu formulieren. Von Lügen würde ich dennoch nicht sprechen. Lügen setzt immer auch ein gewisses Maß an Vorsatz voraus und zumindest dieses unterstelle ich Politikern jetzt nicht durch die Bank).

Wenn nicht gerade über einfache Mathematik geschrieben wird, sind Nachrichten und Meldungen in journalistischen Publikationen immer auch menschlich geprägt: sie basieren auf Wahrnehmung und Empfindung. Es wird individuell bewertet, was essenziell und was weniger wichtig ist und was für auch überhaupt nicht wichtig ist. Das sind menschliche Entscheidungsprozesse, die sich eben nicht einfach so abschalten lassen. Das Wieso und Warum hierzu mitsamt der Erkenntnis, dass es einfach gar nicht anders geht, ist immer wiederkehrendes Thema in Kommunikations- und Führungskräfteseminaren. Dieses jetzt hier weiter zu erläutern, würde den Rahmen sprengen und zugleich das eigentliche Thema in den Hintergrund schieben. Nur soviel dazu: diese Prozesse sind tief verankert. Ohne diese würden wir Menschen die Komplexität des Alltages nicht meistern können.

Fake News – das sind immer die anderen. Das sind immer die, die etwas sagen oder schreiben, was einem selbst nicht passt. Die ZDF-Sendung „Die Anstalt“ hat das gesammelte Dilemma in ihrer Februar-Ausgabe wunderbar auf den Punkt dargestellt: das Wahrheitsministerium.

Artikel 5 GG ist kein Freibrief. Aber fast.

Wie also soll man – rein rechtlich – mit solchen Fake News umgehen? Soll man sie gesetzlich verbieten, also zensieren?

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt die Beziehung zwischen dem Staat als Organ und seinen Bürgern. Hierbei sind insbesondere die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes relevant. Diese formulieren die essenziellen, unveräußerlichen Grundrechte der Menschen, welche sich im Geltungsbereich ebendieses Grundgesetzes aufhalten. Man bezeichnet daher diese Rechte auch als Menschenrechte. Anders formuliert darf man sie auch gern als Abwehrrechte des Individuums gegen den Staat sehen.

Artikel 5
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Artikel 5, Abs. 1 des Grundgesetzes garantiert den Menschen das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Freiheit der Presse. Aus historischen Gründen wird speziell die Meinungsfreiheit in Deutschland sehr weit gefasst und ganz besonders in Richtung der Mächtigen ist sehr viel mehr erlaubt als beispielsweise vor 80 oder 100 Jahren.

Nun verhält es sich mit einer Meinung aber so: Sie muss nicht wahr sein, sie muss nicht auf – für außenstehende Dritte nachvollziehbaren – Fakten beruhen, sie muss nicht richtig sein, sie muss nicht populär sein. Sie sollte sich nur innerhalb der allgemeinen Gesetze bewegen – womit explizit das Strafgesetzbuch sowie das Jugendschutzgesetz gemeint sind. Ansonsten kann Mensch erst mal sagen, was er so für seine eigene Meinung hält. Stimmt nicht? Stimmt doch. Dieses Recht auf Meinungsfreiheit garantiert lediglich, dass Mensch seine eigene Meinung kundtun kann. Eine Garantie auf widerspruchslose Zustimmung gibt es hingegen nicht. Denn das Recht auf Meinungsfreiheit gilt für jeden Menschen. Auch – und ganz besonders – für die Menschen, die eben nicht mit einer Meinung konform gehen.

Wer mag, kann bei diesem Zitat an den allermeisten Stellen „Freiheit“ durch „Meinungsfreiheit“ ersetzen. Wenn man dann auch noch die „politische Freiheit“ durch Diskurs ersetzt, kann man einen recht guten Eindruck davon bekommen, was Meinungsfreiheit im real existierenden Gesellschaftsleben bedeuten sollte.

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der ‹Gerechtigkeit›, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die ‹Freiheit› zum Privilegium wird.

Zur russischen Revolution, Rosa Luxemburg

Übrigens: für sich betrachtet könnte diese Aussage wahrer nicht sein. Allerdings hatte Rosa Luxemburg eine ganz bestimmt Gruppe, auf welche diese Aussage zutreffen sollte im Hinterkopf. Ich habe entsprechende Artikel weiter unten unter „Rosa Luxemburg“ verlinkt.

Mit einem Blick auf das Grundgesetz und den Artikel 5 sollte man gar nicht erst in eine Debatte über Fake News und deren Verbot einsteigen. Denn auch wenn Meldungen ganz offensichtlicher Schwachsinn sind: Sie sind gemäß Artikel 5 Grundgesetz völlig legitim. Das heißt nicht, dass sie jeder Mensch vorbehaltlos akzeptieren und dazu schweigen muss – ganz im Gegenteil. Meinungs- und Pressefreiheit garantieren aber nun mal, dass auch solche Meldungen publiziert werden dürfen. Will man diese unterbinden, wäre es zumindest im Dunstkreis der Zensur. Und diese darf laut Grundgesetz nicht stattfinden. Abgesehen davon: Was erlaubt sich die Bundesregierung, wenn sie bestimmt, dass Fake News verboten werden sollen. Es ist sicherlich nicht an der Bundesregierung oder anderen staatlichen Stellen zu definieren oder gar zu entscheiden, was Fake News ist. Und welche Meldung eben keine Fake-News ist.

Wer nicht selber denkt, muß das glauben, was andere sagen

Eigentlich ist es doch ganz einfach. Grundsätzlich ist jeder für sich selbst dafür verantwortlich, was er oder sie wieso und warum glauben möchte. Oder eben nicht. Problematisch wird es aber, wenn es nicht um eigene Gedanken und eine halbwegs fundierte widerstrebende oder sympathische Meinung geht. Wenn tatsächlich jemand eben nicht selbst denkt, sondern etwas nachplappert, was andere irgendwo und irgendwie mal geschrieben oder gesagt haben. Dann ist jegliche Diskussion zum Scheitern verurteilt, da es dann nur noch darum geht, wer ignoranter gegenüber einem anderen Diskutanten auftritt. In aller Regel verlaufen solche Diskussionen recht schnell im Sande und arten nicht gerade selten in Beleidigungen aus. Da wird dann halt mal ein Link zu einem Artikel gepostet, welcher dann gewissermaßen stellvertretend für alle oder zumindest ein vermeintliches Argument steht. Kann man machen, aber wenn man bei Nachfragen recht schnell beleidigend wird, spricht das nicht gerade für die Kraft der Argumente sowie die Diskussionskultur.

Trust but verify

Schlussendlich sind wir alle dazu aufgefordert, nein, verpflichtet, irgendwelche Verlautbarungen von offiziellen Stellen oder Meldungen in journalistischen Publikationen zunächst kritisch zu beäugen. Aufgrund der Informationsüberflutung auf verschiedenen Kanälen und der Vielfalt an Themen ist es natürlich nicht möglich, jede einzelne Veröffentlichung mit der notwendigen Sorgfalt gegenzuprüfen. Bei den Themen aber, über die Mensch gern diskutieren möchte, weil sie bewegen oder aufrütteln oder ängstigen oder sonst wie so beschäftigen, dass man sie eben einfach nicht mehr nur zur Kenntnis nehmen möchte, sollte man es schon tun. Das Informationszeitalter ist daher nicht nur ein Fluch. Es ist auch ein Segen, da nahezu alle Arten von Informationen nur wenige Klicks entfernt sind. Wer eine kritische Auseinandersetzung mit seinen eigenen Positionen und Meinungen nicht scheut, wird bei wirklich allen Themen im Internet fündig.

Idealerweise beschäftigt man sich zumindest einmal am Tag oder gar bei einem ganz bestimmten Thema auch mal explizit mit Meinungen oder Sichtweisen, die der eigenen diametral gegenüberstehen. Das tut nicht weh, schadet nicht und hilft tatsächlich vielmehr dabei, seine eigene Meinung zu verproben.

Es gibt im gesellschaftlichen oder politischen Diskurs nicht DIE Realität oder DIE Wahrheit. Wer dieses behauptet, ist in aller Regel Fake News. Oder lügt schlicht und ergreifend. Gerade bei solchen Aussagen und den Personen, die sie treffen, gilt es besonders vorsichtig zu sein. Kommen sie dazu noch von staatlichen Stellen, sollten alle, wirklich alle Alarmglocken schrillen.

Schaut man noch mal in die USA und dort auf Donald Trump und seine Wähler/Anhänger, sieht es tatsächlich so aus, dass diese seinen Verlautbarungen bzw. dem Weißen Haus vertrauen, während ABC, CBS, CNN und Co. Fake News sind und man diesen halt wenig bis gar nicht vertraut. Dieser Riss ist gravierend. Selbst unter George W. Bush war es in den USA noch möglich – wenn auch schon schwerlich – faktenbasiert zu diskutieren. Wenn man jetzt aber blindlings alles glaubt, was eine genehme Person so von sich gibt und alles andere mehr oder minder als Fake News abtut und auch gar nicht mehr bereit ist, sich mit anderen Sichtweisen zu beschäftigen, gibt es dort zeitnah sehr viele andere und gravierendere Probleme. Denn wenn es keine gemeinsame Grundlage mehr für den Austausch von Meinungen gibt – wie diskutiert man dann noch?

Weiterführende Artikel

US-Präsidentschaftswahl 2016
Fake News in Deutschland
Grundrechtliches
Rosa Luxemburg
Alles andere