Das Ende der Menschlichkeit
Das Ende der Menschlichkeit

Das Ende der Menschlichkeit

Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit. Auschwitz-Birkenau war das größte Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Allein hier wurden mehr als eine Million Menschenleben ausgelöscht. Am Ende hatten die Nazis während Shoa und Porajmos mehr als 6 Millionen Menschen ermordet.

Es war kein Wachtraum, ein lebender Toter stand mir gegenüber. Hinter ihm waren im nebligen Dunkel Dutzende anderer Schattenwesen zu erahnen, lebende Skelette. Die Luft roch unerträglich nach Exkrementen und verbranntem Fleisch. Ich bekam Angst, mich anzustecken, und war versucht wegzulaufen. Und ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ein Kamerad sagte mir, wir seien in Auschwitz. Es war uns klar, dass etwas Schreckliches über diesem Ort lag: Wir fragten uns, wozu all die Baracken, die Schornsteine und die Räume mit den Duschen gedient hatten, die einen seltsamen Geruch verströmten. Ich dachte an ein paar Tausend Tote – nicht an Zyklon B und das Ende der Menschlichkeit.

Jakow Wintschenko, Soldat der Roten Armee, die das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz am 27. Januar 1945 befreite

Auschwitz war das größte der nationalsozialistischen Konzentrationslager und zugleich auch das größte Vernichtungslager (Auschwitz II-Birkenau) und war damit für die Nationalsozialisten essentiell für die sog. „Endlösung der Judenfrage“. Das heutige Museum Auschwitz-Birkenau ist Gedenkstätte und zugleich der größte Friedhof der Welt. Ohne Grabsteine. Auschwitz ist der letzte verbliebene und noch halbwegs erhaltene Ort des größten Verbrechens der Menschheit, der Shoa. Allein in den drei großen Lagern (Auschwitz I-Stammlager, Auschwitz II-Birkenau sowie Auschwitz III-Monowitz) wurden zwischen 1940 und 1945 mindestens 1,1 Millionen Menschen industriell ermordet. Die meisten von ihnen waren Juden.

Auschwitz war eine Kombination aus Konzentrations- und Vernichtungslager. Aufgrund der schieren Größe und dem schnellen Vorrücken der Roten Armee gelang es den Nationalsozialisten nicht mehr alle Spuren ihrer Verbrechen zu beseitigen. Die anderen Vernichtungslager in Belzec (ca. 435.000 Ermordete), Majdanek (mind. 78.000 Ermordete), Sobibor (150.000-250.000 Ermordete) und Treblinka (mehr als 900.000 Ermordete) wurden weitestgehend vor dem Eintreffen der Roten Armee zerstört und alle Spuren verwischt. Von ihnen sind – wenn überhaupt – nur noch Fragmente geblieben.

Auschwitz und die Shoa

Geschichte war eines meiner beiden Leistungskursfächer im Abitur. Ich habe mich seitdem immer wieder mit der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 und danach befasst. Allein die Zeit des Nationalsozialismus nahm damals ein komplettes Halbjahr in der Oberstufe ein. Wir haben auch ausführlich über die rassistische, jegliches menschliches Leben verachtende und hasserfüllte Ideologie und die Folgen daraus gelernt, darüber gesprochen und diskutiert. Was in Auschwitz verbrochen wurde und wofür dieser Ort steht, war mir also nicht unbekannt. Ich weiß dennoch nicht wo ich anfangen soll, worüber ich schreiben möchte, muss und kann. Die Geschichte von Auschwitz ist voller unfassbarem Leid, Schmerzen, Tod, Verachtung jeglicher Menschlichkeit und es gäbe unzählige Dinge von diesem Ort und über Auschwitz zu erzählen. Man möchte schreien, weinen und auf die Knie sinken in Anbetracht der Gräuel, die hier – aber nicht nur hier – verübt wurden.

Aber: wie kann man darüber, wie über diesen Ort und seine Geschichte schreiben? Ein Versuch. In Episoden umrandet von Zeugnissen von Tätern und Überlebenden.

Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!

Adolf Hitler in seiner Rede vor dem Reichstag am 30. Januar 1939

Es ist nicht richtig, dass ich so eine hochgestellte Persönlichkeit gewesen wäre, dass ich die Verfolgung der Juden selbstständig hätte betreiben können, und betrieben hätte, gegen eine solche Machtfülle spricht deutlich die von den Richtern im Urteil übergangene Tatsache, dass ich niemals einen solch hohen Dienstrang hatte, der mit so entscheidenden, selbstständigen Befugnissen hätte verbunden sein müssen. So habe ich auch keine einzige Anordnung im eigenen Namen gegeben, sondern stets nur „im Auftrag“ (i.t.) gehandelt.

Adolf Eichmann, Leiter des Referates IV D 4 im RSHA und damit hauptverantwortlich für die Deportation und Ermordung von mehr als 6 Millionen Juden

Der deutsche Überfall auf Polen

Der Weg zur Shoa begann bereits kurz nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Januar 1933. So hatten Hitler und Goebbels sogar schon lange vor eben jenem Januar rhetorisch immer wieder gegen wahlweise das „Weltjudentum“, „Finanzjudentum“ oder auch die „jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“ agitiert. Mit dem Zugriff auf Ämter und Behörden der Weimarer Republik wurden Hass und Hetze institutionialisiert und immer weiter in die Öffentlichkeit getragen. Mit der Reichspogromnacht im November 1938 wurde aus Hass und Hetze dann endgültig eine offene, systematische Verfolgung Menschen jüdischen Glaubens. Zunächst „nur“ in Deutschland bzw. seinen Reichsgebieten und später dann auch in den eroberten Ostgebieten, wo die allermeisten der rund 10 Millionen europäischen Juden lebten.

Der Zweite Weltkrieg beginnt am 1. September 1939 mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf sein Nachbarland Polen. Rund vier Wochen später ist Polen militärisch besiegt und wird dem Deutschen Reich einverleibt. Bereits während des Polenfeldzuges begann das NS-Regime mit Massenmorden und gezielten Massenerschießungen polnischer Zivilisten im Rahmen sogenannter AB-Aktionen („Außerordentliche Befriedung“). Das Hauptziel der Nationalsozialisten: die Bildung einer Widerstandsbewegung sollte bereits im Keim erstickt werden. Ein Vorläufer dieser AB-Aktionen war die sogenannte Intelligenzaktion. Diese Aktion wurde ausgeführt von Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD. Unterstützt wurden sie hierbei von der Wehrmacht. Ziele dieser Intelligenzaktion waren Lehrer, Ärzte, Juristen, Professoren, Priester und Bischöfe sowie Repräsentanten von organisierten Vereinigungen wie Gewerkschaften und Parteien. Bereits während dieser Aktionen beginnen Teile der Einheiten ihre Aufgaben und Ziele eigenständig zu erweitern, indem sie wahllos polnische Juden ermorden. Insgesamt rund 60.000 Polen fallen diesen Aktionen zum Opfer. Der Überfall auf Polen und der später erfolgende Überfall auf die Sowjetunion waren also keine ausschließlichen Eroberungsfeldzüge, sondern Vernichtungsfeldzüge mit dem Ziel die Bevölkerungen der Länder auszulöschen und so „Lebensraum für die germanische Herrenrasse im Osten zu schaffen.“ Mit den Ostfeldzügen gelangten auch immer mehr Juden in den Machtbereich der Nationalsozialisten. Allein in Polen lebten im September 1939 über drei Millionen Juden. Am 1. Februar 1940 erteilte der Reichsführer SS Heinrich Himmler die Weisung sowohl im Altreich als auch in den besetzten Ostgebieten geeignete Gebäudekomplexe, Gefängnisse und weitere Lager auf deren Verwendungsmöglichkeit als Konzentrationslager zu prüfen. Bereits hier wurde Auschwitz aufgrund seiner verkehrstechnisch guten Lage und den vorhandenen Gebäuden namentlich erwähnt.

Auschwitz I-Stammlager

Ihr seid hier nicht in einem Sanatorium, sondern in einem deutschen Konzentrationslager, aus dem es keinen anderen Ausgang gibt als durch den Schornstein. Falls das jemandem nicht gefallen sollte, so kann er gleich in den Drahtzaun gehen. Falls im Transport Juden sein sollten, haben diese kein Recht, länger als zwei Wochen zu leben, falls Priester darunter sind, können diese einen Monat leben, der Rest nur drei Monate.

„Begrüßung“ neu angekommener Häftlinge durch Karl Fritzsch, Schutzhaftlagerführer im Stammlager Auschwitz I. Quelle: Auschwitz von A bis Z.

Das sogenannte Stammlager war eine relativ neu gebaute und erst kurz vor dem deutschen Überfall in Betrieb genommene Kaserne der polnischen Armee in Oświęcim. Der Ort wurde aufgrund seiner guten Verkehrsanbindung und der bereits vorhandenen Unterkünfte gewählt. Zudem ermöglichte die Lage umgeben von zwei Flüssen eine gute Kontrolle des Lagers an sich und auch der Einblick von außen konnte begrenzt werden. Bereits im Mai 1940 trafen die ersten Häftlinge im Konzentrationslager ein.

Ursprünglich war dieses für maximal 10.000 Menschen und lediglich für polnische Gefangene (Soldaten, politische Häftlinge, Widerstandskämpfer) gedacht. So befanden sich unter den ersten Häftlingen auch polnische Juden, welcher aber in „Schutzhaft“ genommen worden waren, weil sie Polen waren und nicht etwa wegen ihres jüdischen Glaubens. Schon bald allerdings wurden auch nichtpolnische Juden in Auschwitz registriert. Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 und dem schnellen Vorrücken der Wehrmacht unterstützt von SS und SD gerieten immer mehr Juden in den Machtbereich der Nationalsozialisten, welche dieser entweder sofort ermordeten oder für die Vernichtung deportierten.

Aufgrund der guten Lage wurden im mehr Menschen nach Auschwitz, welches zunächst für nur 10.000 Menschen ausgelegt worden war, deportiert, so dass diese vielen Menschen auf immer knapper werdenden Raum eingepfercht wurden. Dieses wiederum führte zu so katastrophalen hygiänischen Verhältnissen (bitte bedenken: im Rahmen der Vernichtungsstrategie der Nationalsozialisten war es durchaus gewollt, dass Häftlinge unter anderem auch durch Krankheiten so geschwächt wurden, dass sie starben), dass das Lager an sich nicht mehr zu kontrollieren war. Daher wurde recht schnell eine Erweiterung verfügt. Im Rahmen dieser wurden die zunächst einstöckigen Gebäude um eine weitere Etage erweitert und später das Lager Auschwitz II-Birkenau, welches nur wenige Kilometer vom Stammlager entfernt liegen sollte, geplant und errichtet.

Jeder von ihnen fühlte sich als Herr über Leben und Tod der Häftlinge, und heute versuchen viele, ihre niedrigen Instinkte und Mordsucht damit zu verschleiern, dass sie gezwungen waren, ‚Befehle‘ auszuführen.

Helen Stark, Häftling in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Die Gräueltaten begannen aber nicht erst in oder mit der Errichtung Birkenaus. Bereits im Stammlager waren die Häftlinge immer wieder Schikanen, Bestrafungen, schier endlosen Appellen, Folter und beliebiger Gewalt ihrer Aufseher ausgesetzt. Besonders perfide: die SS-Wachmannschaften machten aus ihren Opfern auch Erfüllungsgehilfen, welche stellenweise zu Mittätern wurden, indem sie ein System sog. Funktionshäftlinge (Kapo) etablierten und somit ausgewählte Juden zwischen sich und die einfachen Häftlinge platzierten. Für die einfachen Häftlinge bedeutete jede weitere Sekunde oder Minute in dem Lager eine Ewigkeit. Es konnte jederzeit vorbei sein. Jemand sie schlagen, foltern, in eine Zelle stecken, sie so schwer verletzen, dass sie bei der nächsten Selektion für die Vergasung bestimmt wurden oder gleich einfach ermorden.

Obwohl die Baracke der Politischen Abteilung [Gestapo] sich in der Nähe der Fahrbereitschaft befand, habe ich mich niemals darum gekümmert. Ich hörte manchmal, dass Menschen in der Baracke der Politischen Abteilung schrien. Warum sie schrien, weiß ich nicht, das hat mich auch nicht interessiert.

Leopold Heger, stellvertr. Leiter der Fahrbereitschaft im Lager Auschwitz I. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Besonders berüchtigt war Block 11 im Stammlager. Hier war die politische Abteilung der Gestapo untergebracht. Hier wurden Schnell- und Standgerichte (bis zu 200 Todesurteile in zwei Stunden) abgehalten. Hier befanden sich die Hungerzellen (Verurteilte wurden hier ohne Wasser und Brot zum Verhungern eingesperrt), die Dunkelzellen (Verurteilte wurden hier bei völliger Dunkelheit für längere Zeit eingesperrt), die Stehzellen (bis zu vier Verurteilte mussten sich auf einem Quadratmeter stehend über Stunden die knappe Luft teilen, welche nur durch eine kleine Öffnung in die Zelle gelangen konnte). Der Innenhof des Blocks war vor Blicken von außen geschützt und auch die Fenster, der direkt angrenzenden Gebäude waren entweder zugemauert oder anderweitig geblendet (siehe Bild weiter oben), sodass Schreie zwar hörbar, aber die Taten nicht sichtbaren waren. Im hinteren Teil des Blocks 11 befand sich die sog. „Schwarze Wand“. Hierhin wurden zum Tode Verurteilte nackt geführt und dann von einem SS-Mann mit einem Genickschuss hingerichtet. Stellenweise fand die Hinrichtung bereits statt, als sich die Verurteilten noch auszogen. Ebenfalls im Innenhof befanden sich die oben zu sehenden Folterhaken. Hiervor gab es insgesamt 6. Heute sind noch zwei davon erhalten. Verurteilten wurden hier die Hände auf den Rücken gebunden, daran an die Haken gehängt und anschließend langsam hochgezogen. Hierdurch sprangen die Kugeln aus den Pfannen, die Sehnen rissen. Das Pfählen wurde stundenweise vollstreckt und war gleichbedeutend mit dem Tod, da die Personen danach nicht mehr arbeitsfähig war und bei der nächsten Selektion in die Gaskammer geschickt wurde. Ebenfalls in Block 11 wurden die ersten Versuche mit Vergasungen vorgenommen und auch die erste Massenvergasung von 600 sowjetischen Kriegsgefangenen sowie 250 Kranken fand hier mutmaßlich am 3. September 1941 im Keller statt. Das Krematoriumskommando benötigte mehrere Tage für die Verbrennung der über 800 Leichen.

Die erste Gaskammer (Krematorium 1)

Die erste voll funktionsfähige Gaskammer mitsamt Krematorium errichteten die Nationalsozialisten noch auf dem Gelände des Stammlagers. Hierfür bauten sie einen ehemaligen Munitionsbunker so um, dass dieser hermetisch abgedichtet werden konnte. Zudem wurden Einwurfschächte für das Zyklon B auf dem Dach angebracht. Rund um den Eingangsbereich hatte man Strohballen aufgestapelt, so dass von außen nicht gesehen werden konnte, was sich unmittelbar vor der Krematoriumstür abspielte: die Menschen mussten sich nackt ausziehen und wurden dann in die Gaskammer getrieben. Die eigentliche Kapazität lag bei 600-700 Menschen. Mit viel Gebrüll, Schlägen und dem Einsatz von Wachhunden konnten die Täter diese noch auf weit über 1000 Menschen erhöhen.

Dann wurden die Türen geschlossen und versiegelt. In völliger Dunkelheit und auf allerengstem Raum zusammengepfercht, ängstlich, panisch, nicht wissend, was gleich passieren wird, harren die Menschen aus. Dann öffnet ein SS-Mann die Luke und wirft das Zyklon B in die Gaskammer. Maximal 20 Minuten später sind alle Menschen in der Gaskammer tot (die in Zyklon B enthaltene Blausäure führte zum inneren Ersticken). Nach einer zusätzlichen Wartezeit wird die Tür wieder geöffnet und ein Sonderkommando bestehend aus jüdischen Häftlingen beginnt damit die inneinander verkeilten Toten voneinander zu trennen (das Zyklon B stieg langsam vom Boden nach oben, so dass die Menschen, die es noch konnten auf die bereits Toten stiegen um dem tödlichen Gas zu entkommen), nach weiteren Wertgegenständen in allen Körperöffnungen zu durchsuchen und ggf. Goldzähne herauszubrechen. Anschließend wurden die Toten in den Raum mit den Verbrennungsöffnen getragen und dort verbrannt. Nach rund 30 Minuten blieben dann von einem durchschnittlichen Mann noch zwei Kilogramm und von einer durchschnittlichen Frau anderthalb Kilogramm Asche zurück. Sie hatten aufgehört zu existieren und nichts erinnerte mehr daran, dass sie je existiert haben.

Was mir bis zum heutigen Tag im Kopf geblieben ist, dass man 2300 Menschen sieht und dann am nächsten Morgen ist plötzlich nur noch ein Haufen Asche und Staub da.

Shaul Chasan, Jüdisches Sonderkommando in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Auschwitz II-Birkenau

Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau war ein riesiger Lagerkomplex mit verschiedenen Bereichen, welche sich über eine Fläche von rund 40 Quadratkilometern verteilten. Das Lager war die Form und Gebäude gegossene Rassen- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten: Vernichtung. Egal wie. Vernichtung durch Arbeit, Vernichtung durch Mangelernährung, Vernichtung durch Krankheiten, Vernichtung durch Folter, Vernichtung durch Selbstmord („in den Zaun gehen“) oder Vernichtung durch Vergasung. Lediglich durch Letzteres unterschieden sich die vielen Konzentrationslager – vor allem, aber nicht nur – in den besetzten Ostgebieten von den reinen Vernichtungslagern Belzec, Majdanek, Sobibor und Treblinka.

In der größten Ausbaustufe gliederte sich das Lager Auschwitz-Birkenau in drei Abschnitte: B I war ursprünglich das Gefangenenlager für sowjetische Kriegsgefangene und Männerlager und ab August 1942 dann das Frauenlager. B II war ein wechselnd belegter Blockabschnitt: Zigeuner- und Familienlager, Männerlager, Quarantänelager und das Lager für ungarische Juden. B III „Mexiko“ war bis Oktober 1944 das Lager für jüdische Häftlinge (überwiegend Frauen aus Ungarn).

Es waren tausende von Kindern, die damals vergast wurden. Die Kinder waren frisch und gesund. Was ich damals erlebte, war so fürchterlich, dass ich in diesen Tagen das erste und einzige Mal Brennspiritus getrunken habe. Eigentlich hatte ich Schluss machen und in den Draht gehen wollen, weil es einfach zu viel war. Aber ein Kamerad gab mir eine Ohrfeige und sagte, dass ich den Brennspiritus trinken soll.

Johann Cespiva, Häftlingsarzt in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Die ersten Massenvergasungen in Auschwitz-Birkenau fanden in umgebauten Bauernhäusern („Rotes Haus“ und „Weißes Haus“) westlich außerhalb des eigentlichen Lagerkomplexes statt. Zudem fanden die ersten Selektionen auf der sog. Judenrampe östlich außerhalb des Lagerkomplexes statt. Das bedeutete für die zur Vergasung selektierten Juden, dass diese rund einen Kilometer von der Rampe zu Fuß durch das Lager zu den beiden Gaskammern gehen mussten. Aufgrund der großen Anzahl an Zügen und der gleichzeitig geringen Kapazität der Gaskammern mussten sie auf den Hügeln vor den beiden Häusern sitzend auf ihre Ermordung stundenlang warten. Wenn sie dann an der Reihe waren, mussten sie sich schnell ausziehen und wurden dann von SS-Leuten die letzten Meter in die Gaskammer getrieben. Menschen, die beim Aussteigen aus dem Zug bereits so entkräftet waren, dass sie nicht mehr selbst gehen konnten, wurde von den SS-Mannschaften angeboten, die Strecke zum Lager mit einem Transportfahrzeug zurückzulegen. Diese Fahrzeuge fuhren dann direkt zu den Gaskammern. Anfangs wurden die Ermordeten noch begraben. Als sich dieses aufgrund der großen Anzahl an ermordeten Menschen nicht mehr realisieren ließ, mussten die jüdischen Sonderkommandos die Leichen wieder ausgraben und auf Scheiterhaufen bzw. in Brandgruben verbrennen.

Nach diesen Verbrennungen, so erinnere ich mich, kam eines Abends ein Lastwagen voll mit alten Leuten, Kranken, Gelähmten und mit Kleidern und allem schüttete man sie von der Ladefläche des Lastwagens, wie man Kies ausschüttet, direkt in die [Verbrennungs]-Grube – lebend! Das habe ich zweimal gesehen.

Shaul Chasan, Jüdisches Sonderkommando in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Erst später wurden in Auschwitz-Birkenau die Krematorien 2 und 3 (die Gaskammern lagen hier unterirdisch) sowie 4 und 5 (der komplette Bau lag ebenerdig) erbaut. Die Krematorien 2 und 3 befanden sich in der Verlängerung der ebenfalls neu erbauten Selektionsrampe zwischen den Bauabschnitten I und II jeweils an deren Kopf. Die Krematorien 4 und 5 lagen westlich am Übergang der Bauabschnitte B II und B III. Nach der Selektion auf der Rampe mussten die zur Ermordung bestimmten Menschen entweder an der Seite der Rampe entlang zu den Gaskammern in den Krematorien 2 und 3 bzw. durch den Bauabschnitt B II zu den Gaskammern in den Krematorien 4 und 5 gehen und wurden wenige Minuten nach ihrer Ankunft und der Selektion ermordet und anschließend nach einer weiteren Durchsuchung in den Krematorien verbrannt.

Die Menschen, die nicht für die Ermordung selektiert worden waren, wurden von der SS-Mannschaft in die Entwesungsanlage („Zentralsauna“) getrieben. Dort wurden sie dann offiziell in das Lager aufgenommen.

Der erste Gang führte ins Badehaus, die Sauna [Aufnahmegebäude]. Dort begann die eigentliche Prozedur: Ausziehen, Haareschneiden, nein, kahl rasieren bis zum letzten Stummel, Duschen, Tätowieren. Hier nahm man uns wirklich alles bis zum Letzten. Nichts blieb, nichts von unseren Kleidern oder Wäschestücken, keine Seife, kein Handtuch, keine Nadel und kein Essbesteck, nicht einmal ein Löffel; kein Schriftstück, das uns rekognoszieren konnte; kein Bild, kein Schriftzug derer, die wir liebten. Die Vergangenheit war abgeschlossen, ausgemerzt. Dann bekamen wir Nummern, eingebrannt in den linken Unterarm und angenäht an die Kleider. Wir waren ausgeschieden aus der Welt dort draußen, entwurzelt aus unserem Land, losgerissen von unserer Familie, eine bloße Nummer, einzig von Bedeutung für die Schreibstube.

Lucie Adelsberger, Häftlingsärztin in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Wurden hier noch schwangere Frauen und Kinder entdeckt, die bei der Selektion übersehen worden waren, wurden diese umgehend in die Gaskammern geschickt und dort ermordet.

Er ging ins Krematorium IV und sah seine Familie. Ich fragte ihn anschließend: „Josef, hast du ihnen gesagt, dass man sie umbringen wird?“ Und er erwiderte: „Hätte ich ihnen das sagen können?“

Joseph Baruch, Jüdisches Sonderkommando in Auschwitz. Quelle: Ernst Klee, Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon

Am Ende der Taten

Auch wenn die letzten Überlebenden der Shoa bald von uns gegangen sein werden, wird die mahnende Erinnerung bestehen bleiben. Die Shoa gehört zu unserer Identität als Deutsche. Wir können diese nicht einfach ablegen oder gar einen Schlussstrich ziehen. In der Geschichte gibt es keinen Schlussstrich, sondern nur Kontinuität und in dieser ist Auschwitz nunmal passiert. Wir können nicht einfach hergehen und den Überlebenden sowie ihren Angehörigen und Nachkommen ins Gesicht spucken und sagen: jetzt ist aber mal Schluss. Wie soll das gehen? Wer in der Erinnerung einen Schuldvorwurf erkennt, möge vielleicht noch mal seinen Wertekompass prüfen.

Beamte, die noch für die Nationalsozialisten die Nürnberger Rassegesetze erarbeiteten wurden nach Kriegsende und Entlastung wieder in den Staatsdienst aufgenommen und wirkten dann unter anderem an der Ausarbeitung von Gesetzestexten der Bundesrepublik Deutschland mit, bspw. beim Staatsbürgerschaftsrecht. Das muss man einfach mal sacken lassen. Die Menschen, die willfähig den Nationalsozialisten gedient und ihnen sogar ermöglicht hatten, ihr schändliches Treiben „gerichtsfest“ zu verbriefen, waren nur wenige Jahre später in der Bundesrepublik Deutschland dafür zuständig, dass bundesrepublikanische Gesetze ausgearbeitet, verabschiedet und umgesetzt sowie im Bedarfsfall durchgesetzt wurden. In der Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland arbeiteten in verschiedenen Bundesbehörden mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder als zu Zeiten der Nationalsozialisten aktive NSDAP-Mitglieder. Die allermeisten davon: im Justizministerium. Insgesamt wurden im Rahmen der Kontinuität der Verwaltungseliten sehr viele Angestellte und Führungskräfte übernommen.

Die Ursprünge und zugleich administrativen Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland liegen also in der Weiterbeschäftigung eben der Leute, die noch bis Anfang 1945 Todesurteile sprachen und zuvor eben willfähig die juristischen bzw. staatsrechtlichen Grundlagen dafür geschaffen hatten. Es war dann auch dieses juristische System und dessen Haltung, welches unzählige Aussagen von Zeugen der Auschwitz-Prozesse als unglaubwürdig einstuften und tatsächlich den (mutmaßlichen) Tätern mehr Glauben schenkte als den Opfern. Die Entnazifizierung war mit dem Ende der Nürnberger Gesetze abgeschlossen. Wer weiß, womöglich hätte man auch einen Adolf Eichmann oder Rudolph Höß freigesprochen bzw. maximal zu Mitläufern erklärt, wenn man es denn gekonnt hätte.

Wie also mit der Shoa umgehen? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass ein wenig mehr Demut in Anbetracht dieses Verbrechen wohltuend wäre. Und gerade am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz sollte man sowohl medial aber auch politisch ein paar Gänge rausnehmen und innehalten. Das sind wir den Opfern schuldig. Wenigstens das sollten wir zumindest an einem 27. Januar schaffen.

Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.

Willy Brandt, deutscher Bundeskanzler 1969-1974